Vorgeschichte. Bereits seit dem Jahr 1988 züchte ich Farbenkanarien im Schauwesen. Eine Kollektion Farbenkanarien Gelb intensiv, die ich bei meiner ersten Teilnahme an einer Vereinsausstellung präsentierte, wurde mit 365 Punkten bewertet. Bei den darauffolgenden badischen Landesmeisterschaften wurde die gleiche Kollektion, vom selben Preisrichter mit 10 Punkten weniger gepunktet. Enttäuscht darüber, stellte ich die Vögel trotzdem auf den Deutschen Meisterschaften in Saarbrücken aus und wurde damals erfreulicherweise Deutscher Vizemeister mit 365 Punkten.

Anfänglich wunderte ich mich über solche Bewertungen, dachte es wären individuelle Anfängerfehler. Aber zwischenzeitlich, nach fast 30-jähriger Ausstellungs- und Zuchtphase, bin ich überzeugt, einen großen Kenntnisstand über meine „gehaltenen und gezüchteten Vögel“ zu haben und war irritiert, wenn es dann in den Ausstellungen zum Beispiel einen Strich in der Bewertungskarte gab, da ich „angeblich“ in einer falschen Schauklasse ausgestellt hätte oder die Punktzahlen entgegen denen meiner Erwartungen zurückgeblieben sind.

So ärgerte ich mich vor Jahren bei einer Deutschen Meisterschaft, da die Vögel, für mich die besten, die ich jemals gezüchtet hatte, nicht die erhoffte Bewertung erhielten. Damals holte mich ein Freund zurück auf den Boden. Seine Aussage: „Alex, wenn Du wissen möchtest, warum die Vögel so bewertet wurden, solltest du dich mehr mit der Materie beschäftigten, um zu verstehen, warum diese Vögel so beurteilt wurden. Werde selbst Farben- und Positurkanarien Preisrichter, es wird Dir nicht schaden!“ Das gab mir zu denken. Nun, was also tun? Eigentlich hatte mein Freund, der selbst Preisrichter ist, im Nachhinein recht.

Lange überlegte ich, welche Gründe für eine Ausbildung als Preisrichter sprechen würden. Und dabei ergab sich eine ganze Bandbreite: Mein bisheriges Wissen erweitern, die Bewertungen verstehen, selbst lernen, gerechte Bewertungen des Zuchtstands der Vögel gegenüber dem vorgegebenen Standard durchzuführen; die faszinierenden Aspekte der Genetik erlernen und in meiner eigenen Zucht anwenden zu können. Andere Vereine und Züchter kennenzulernen, um mein Wissen an diese weitergeben zu können; meinem Hobby einen weiteren positiven Input zu geben. An die finanziellen Aspekte, also die Tagespauschalen, das Kilometergeld, das einem bei einer Bewertung zusteht und die vorher zu zahlenden Prüfungsgebühren, dachte ich damals überhaupt nicht.

Im nächsten Schritt informierte ich mich über die erforderlichen Voraussetzungen für eine Preisrichterausbildung.

*Der DKB gibt dabei folgendes vor: Erfolgreiche Züchter, die in Züchterkreisen einen guten Ruf als gewissenhafte und sachliche Persönlichkeiten haben, können als Preisrichteranwärter (Scholare) zugelassen werden. Dazu ist notwendig, dass sie

  • mindestens 5 Jahre Mitglied im DKB sind und damit einen örtlichen Verein des zuständigen Landesverbandes angehören,
  • sich aktiv und mit Erfolg züchterisch betätigen und an Ausstellungen beteiligen,
  • die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen,
  • bei Entgegennahme des Preisrichterausweises das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Erfüllte ich diese Voraussetzungen? Ja, eigentlich schon. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits mehr als zwanzig Jahre Mitglied beim DKB, stellte erfolgreich national und international aus. Deutsch in Wort und Schrift, das schaffe ich eigentlich auch. Und das 18. Lebensjahr hatte ich auch schon lange vollendet.

Aber wo kann man eine Preisrichterausbildung machen? Wie funktioniert das?

Der Zufall wollte es, dass im Herbst 2013 bei den Badischen Meisterschaften durch ein Plakat für einen Preisrichtergrundkurs im Landesverband 01, Baden geworben wurde. Im ersten Moment fühlte ich mich sogleich angesprochen. Im zweiten setzten meine Bedenken ein: Sollte ich trotz meines Alters tatsächlich wieder die Schulbank drücken? Ich war über fünfzig Jahre alt, meine letzte Schulung und Prüfung – der Fallschirmspringerlehrgang bei der Bundeswehr – lagen schon dreißig Jahre zurück. Würde ich da überhaupt mit den Jungspunden mithalten können? Möchte ich mich dieser Belastung wirklich aussetzen?

Ich machte mir die Entscheidung nicht einfach und dachte sehr lange darüber nach. Nach intensiven Gesprächen mit meiner Ehefrau Elke fasste ich mir ein Herz und meldete mich zur Ausbildung an. „Na ja“, so meine Gedanken „ich fange einfach mal an – aufhören kann ich immer noch!“

Der erste Kontakt fand dann im März 2014 im Vereinsheim der Vogelfreunde Philippsburg statt. Zwei langjährige Preisrichter und höchst erfolgreiche Züchter des Badischen Kanarienzüchter-Verbandes, Yves Michel und Fritz Heiler, erklärten den Anwesenden den Ablauf der Ausbildung, die sich in zwei Bereichen gliederte: die Gemeinsame Grundausbildung zum Aneignen und Festigen von Grundwissen in der Ornithologie vor allem der Vererbungslehre und anschließend die spezielle Ausbildung, unterteilt in der Fachausbildung Farben- und Positurkanarien. Nach dieser Ausbildungszeit muss ein Preisrichter einen Vogel qualifiziert, gewissenhaft und unabhängig beurteilen können. Dabei muss er die Kriterien des aktuell geltenden Deutschen Standards, die aus dem internationalen Standard der C.O.M., welcher von der DKB und AZ Preisrichtergruppe nach einem Abstimmungsverfahren übernommen wurde, befolgen und nach Kenntnis gleichmäßig bewerten, wie weit der ausgestellte Vogel dem Idealbild des Standards entspricht.

Insgesamt waren wir sechzehn Interessierte unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Zuchtrichtungen. Die einen bevorzugten Farbenkanarien, die anderen Positurkanarien. Eine Zusammensetzung, die sich im Laufe der Zeit bewähren sollte: Jeder konnte von den Erfahrungen der anderen lernen. Wir einigten uns auf einen 14-tägigen Modus für die Schulungen über ca. 2,5 Jahre. Während dieser Zeit sollten wir als Scholare auch an Ausstellungen teilnehmen dürfen. Vor der Abschlussprüfung sollten die Prüfungsvorbereitungen intensiviert werden.

Ich war von dem Treffen so begeistert, dass ich mich voller Enthusiasmus in das Unternehmen „Preisrichter“ stürzte. Umgehend bestellte mir diverse Fachbücher, beispielsweise den DKB/AZ Standard „Farben- und Positur“, „Farbenkanarien“ von Altmeister Julius Henniger, das Standardwerk zur Genetik für die Farbenkanarienzucht, „Die Farbenkanarien“ von Norbert Schramm, „Positurkanarien – eine Leidenschaft für’s Leben“ von Thomas Müller und Uwe Feiter, „Die Positurkanarien“ von Dr. Hans Claßen und Werner Kolter sowie die CD „Fachausbildung für Farben- und Positurkanarien für Preisrichter und Züchter“ und einiges anderes mehr. Mit Informationsmaterial war ich damit eingedeckt.

Beim Lesen des Buches von Julius Henniger stellte ich schnell fest, dass die Aufgabe doch schwieriger war, als ich sie mir vorgestellt hatte. Überzeugt relativ viel über die Vogelzucht und darüber hinaus zu wissen, musste ich feststellen, dass es sehr viel Neues zu lernen gab: Mendelsche Regeln, Meiose, Mitose, Homozygotie, multiple Allelie, Zygote, alles Begriffe, die ich vorher noch niemals oder nur ansatzweise gehört hatte. Die abgebildeten Erbkreuze und Ableitungen waren für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Und vor dem Auswendiglernen der vielen Schauklassen grauste mir. Tröstlich war, dass es den anderen „Neulingen“ nicht besser erging. Und von vornherein war klar: Dieser Preisrichterlehrgang würde kein Kaffeetrinkerlehrgang und schon gar kein Selbstläufer. Er bedeutete vielmehr harte Arbeit und viel Disziplin.


Dennoch gingen wir alle tapfer zu den Schulungen. Und… bei jeder Schulung wurden gewisse Begriffe verständlicher, da vieles recht logisch aufgebaut ist. Erwähnen möchte ich noch, dass bei den Schulungen „zum warm up“ Erbquadrate zu lösen waren, Fragen und Antworten der letzten Schulung sowie Standardbeschreibungen von Farben- und Positurkanarien nochmals abgefragt wurden. Um das alles nochmals lockerer zu machen konnten wir jederzeit Vögel mitbringen, diese besprechen und bewerten.

Spickzettel in sämtlichen Wohnräumen, im Auto, in der Zuchtstube erleichterten mir das Lernen. Der Positur- und Farbenkanarienstandard war immer Bestandteil meines Reisegepäcks. Na ja, die einen lösen am Strand Kreuzworträtsel, ich halt Erbkreuze.

Sind die Erbkreuze wohl richtig?

So verging Monat um Monat, bis im März 2015 die erste Prüfung anstand.

Zwischenprüfung

Geprüft wurden wir vom Preisrichtervorsitzenden Franz-Josef Dreßen sowie Emil Dinies und Benedikt Maldener, beide Mitglieder im Preisrichtervorstand. Die Prüfung bestand unter anderem aus einem Fragenkatalog, zum Teil zum Ankreuzen.

Das Gute an der Zwischenprüfung war, dass wir einen Nachweis über den Stand des zu diesem Zeitpunkt angeeigneten Wissens, bekamen. Der eine oder andere wurde auf Lücken aufmerksam und auch die Ausbilder sahen die Schwachstellen, die in den nächsten Monaten konsequent aufgearbeitet wurden.

Ausstellungen

Im Herbst standen dann neben den Ausstellungen, an denen wir als aktive Aussteller oder passive Besucher teilnahmen, auch Termine als Scholare an. Als Scholar darf man dem amtierenden Preisrichter über die Schulter schauen: Er erklärt, weshalb er wie bewertet und worauf es ankommt. Dabei darf man die Vögel auch für sich selbst bewerten und das Ergebnis mit dem Preisrichter besprechen. Für mich waren diese Termine dadurch sehr lehrreich.

Scholare konzentriert bei der Arbeit hier: Rainer Bindschädel, Alex Hintermayer,
Larissa Schahn, Rosi Kistner
Jürgen Boehmer, Mentor: Yves Michel u. Fritz Heiler, Alex Hintermayer, Rosi Kistner

Unsere beiden Mentoren schulten uns unter anderem bei den Internationalen Farbenkanarienschauen in Leuven, Philippsburg (hier auch bei der Fife- und Borderschau), Interessengemeinschaft der Deutschen Hauben in Kandel, bei den Deutschen Meisterschaften und Weltschauen. Bei der Weltschau in Porto führte uns beispielsweise Uwe Hironimus durch die Positurkanarien (speziell Süd- und Nordholländer, Pariser Trompeter).

Uwe Hironimus und die Scholare Rainer Bindschädel, Klaus Rupp, Rosi Kistner, Vlado Heeß

Bei der Weltschau in Almeria, Spanien erlebten wir hautnah beispielsweise den Unterschied der einzelnen Frisé Kanarien insbesondere der Rassen Pariser Trompeter gegenüber dem Agi. Zusätzlich legte ich viele Kilometer zurück, um mich bei Züchtern über bestimmte Positurkanarien zu informieren.

Karin Hasenbach (Preisrichterin) und Alex Hintermayer (Scholar) Landesverbandsschau LV14, Rhein-Pfalz 2017 in Sprendlingen

Prüfung

Je näher der Prüfungstermin kam, desto kleiner wurde unsere Gruppe. Aus Zeitmangel und beruflichen Gründen sprangen etliche Scholare ab. Am Ende konnte Yves noch sieben Personen zur Prüfung anmelden.

Voraussetzung zur Prüfungszulassung war, dass ein Scholar einen Ausbildungsumfang von 200 Stunden (etwa 2,5 Jahre) absolviert hatte. Zudem musste jeder Scholar mindestens zwei Landesverbands-Scholaren-Bewertungen und zehn Vereinsbewertungen nachweisen.  Der Ausbildungsleiter führt deshalb eine Anwesenheitsliste, die er der Prüfungskommission vorlegt. Nachweise über die Anwesenheit an den Schulungen und an Bewertungen mussten die Scholare dabei selbstständig führen und waren der Prüfungskommission vorzulegen.

Die für die Prüfung zugelassenen Scholare aus verschiedenen Landesverbänden des DKB wurden unter dem Vorsitz des Preisrichtervorsitzenden Franz-Josef Dreßen sowie Emil Dinies und Benedikt Maldener, auf Grund der hohen Anzahl der Prüflinge an zwei Tagen, auf den Landesmeisterschaften des Westdeutschen Farben- Mischlings- und Positurkanarien-Züchterverband e.V. in Hückelhoven, geprüft.

Zuerst mussten wir je vier Kollektionen Farben- und Positurkanarien bewerten und rund sechzig Einzelvögel nach Schauklasse bestimmen. Tags darauf begannen die Prüfungen mit dem Erstellen eines Erbquadrates. Individuelle Prüfungsfragen mussten schriftlich beantwortet werden. Darauf folgte ein zehnminütiger Vortrag (ohne Hinzunahme technischer Hilfsmittel) über ein freies Thema (bei mir waren es Phaeo) vor der Prüfungsjury. Zudem musste ein Aufsatz über ein von der Kommission vorher bestimmtes Thema abgegeben werden. Diese Aufsätze wurde später im Vogelfreund veröffentlicht.

Resümee     

Inzwischen sind drei Jahre vergangen, im Laufe derer ich bei verschiedenen Ausstellungen deutschlandweit bewerten durfte. Farben- und Positurkanarien Preisrichter zu sein, ist für mich immer etwas Besonderes. Und dafür angefordert zu werden, erfüllt mich sehr mit Stolz und sehe das auch als große Anerkennung.

Bewertung bei den saarländischen Meisterschaften 2018
Hier bei der Bewertung beim Kanarien-Club-Berlin e.V. 2019
in Werder im Rahmen der Großen Ziergeflügel- und Exotenschau

Nun habe ich auch die Gelegenheit meine anfangs geschilderte Bewertungserfahrung aus der anderen Perspektive zu erleben: Manch ein Aussteller kann es nicht verstehen, warum gerade seine Vögel nicht vorne stehen. Hatte er doch vorher auf anderen Ausstellungen eine viel höhere Punktzahl erreicht. Eigentlich freut sich nur der Gewinner, ist mit allem einverstanden und zufrieden. Als Preisrichter kann ich dem Züchter nun mit bestem Gewissen Rede und Antwort stehen, warum und weshalb ich die Vögel zum Zeitpunkt der Bewertung so bewertet habe.

Fazit

Rückblickend bin ich froh, die Preisrichterausbildung gemacht zu haben und würde sie jederzeit wieder in Angriff nehmen. Eigentlich hatte ich im vergangenen Jahr einen weiterführenden Kurs Mischlinge, Cardueliden, Europäer (MCE) besuchen wollen, aber der konnte wegen Corona leider bis heute noch nicht beginnen. Schade auch, dass im Ausstellungsjahr 2020 keine Ausstellungen stattfinden konnten.

In den vergangenen Jahren konnte ich mein ornithologisches Wissen ungemein vergrößern. Natürlich war die Ausbildung manchmal auch stressig und vor allem sehr zeitaufwändig, aber es machte unheimlich viel Spaß, auch weil wir eine sehr anregende Kameradschaft pflegten. Danke, an alle meine Scholarkolleginnen und -kollegen. Ihr seid einfach klasse! Rückwirkend bedauere ich nur, dass ich die Ausbildung nicht Jahre früher in Angriff genommen habe, denn in jüngerem Alter lernt man einfacher und schneller. Hinzufügen möchte ich noch, dass mit Ende der Preisrichterprüfung das Lernen nicht abgeschlossen ist. Ein Preisrichter besucht weiterhin Schulungen innerhalb der Preisrichterfachgruppe, bekommt Änderungen z. B. bei Anerkennungen neuer Rassen usw.

Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich jedem interessierten Vogelfreund nur empfehlen, sich einmal Gedanken darüber zu machen und sich für eine Preisrichterausbildung zu entscheiden. Unser Hobby braucht auch in diesem Bereich adäquaten Nachwuchs. Und vor allem drandenken …. man kann dabei nur gewinnen!

Als letztes und das ganz besonders möchte ich mich noch bei unseren beiden Mentoren Yves Michel und Fritz Heiler bedanken, ohne die das ganze Unternehmen „Preisrichter“ nicht möglich gewesen wäre (Hi).

Quellennachweis

*DKB FPMCE-Preisrichter „Ausbildungsrichtlinien und Preisrichterprüfungsordnung für Farbenkanarien, Positurkanarien, Cardueliden und Mischlinge, Stand 1996